Eine Zeitreise (Warnemünde 2024 -pt.2)

Über Nacht hat es wieder geschneit und als wir über die Straße laufen, die kurze Düne hoch, ist der Strand weiß gepudert. Der Wind weht, es ist grau und noch schneit es ein wenig.

Wir laufen in Richtung Hotel Neptun, um dort ein Taxi zu nehmen – aber Fehlanzeige. Heute Morgen steht hier keines. Also laufen wir zur Mühlenstraße vor, inzwischen geht der Schnee in kräftigeren Regen über. Vor der Apotheke steht ein freies Taxi, wir steigen ein und sagen dem Fahrer, dass wir zum Schifffahrtmuseum wollen. Kein Problem … wir fahren los und der Fahrer fängt an zu erzählen.

Wir hatten uns gestern Abend informiert, wie wir am besten zum Museum (IGA Park) kommen – mit den öffentlichen Verkehrsmitteln wären wir über 50min unterwegs gewesen; ein Taxi kostet laut Google Maps zwischen 19 und 23 € und ist in 14min da.

Wir unterhalten uns sehr angeregt mit dem Fahrer, der fährt und fährt – der Taxameter zeigt inzwischen 20 € an. Der Taxameter zeigt nun 30 € an, der Taxifahrer redet und redet und fährt …
Als wir kurz vor 40 € sind, frage ich den Fahrer: „Sagen Sie mal, wo fahren sie uns denn hin?“ Bis zum Schifffahrtsmuseum im IGA Park sind es doch nur 15 min … „. Nun redet er nicht mehr, fährt rechts heran und wir stehen in der August-Bebel-Straße vor der Sozietät Rostock maritim e.V. – Mhhh – das ist aber (nicht mehr) das Schifffahrtsmuseum – hier ist nämlich schon seit 20 Jahren (!) geschlossen, die Fassade bröckelt und ist ein unschönes und nicht gerade besucherfreundliches Kapitel der Rostocker Kulturpolitik geworden.

Der Taxifahrer googelt jetzt selbst in seinem Handy und entschuldigt sich dann – aber wirklich überaus freundlich. Wissen Sie, sagt er, ich schalte den Taxameter jetzt aus und fahre sie zum IGA-Park. Es tut mir leid, es war mein Fehler…. Ein anderer hätte uns vielleicht abkassiert und stehen lassen – aber nein – wir setzen unsere Stadtrundfahrt durch Rostock fort – unterhalten uns weiter sehr gut und sind irgendwann wirklich am Leuchtturm des Schifffahrtsmuseums in Schmarl angekommen. Er entschuldigt sich nochmals und wir drücken ihm 30 € in die Hand. Wir hatten eine wirklich unterhaltsame Fahrt – wenn auch viel länger als geplant. Das fing ja nett an …

Genau hier, an der Warnow, ist die Zeit seit 1990 stehen geblieben – die „Frieden“ wurde in der Rostocker Neptun-Werft gebaut, die Werft wurde privatisiert, der Schiffbau 1992 eingestellt. 1992, im Zuge der Privatisierung, war hier der letzte Stapellauf. Anfang der 90er Jahre hat man hier mit ehemaligen Beschäftigten dieser großen Rostocker Werft ein Modell bauen lassen, das diese gesamte komplette Werftanlage vollständig zeigt, inklusive der ganzen Docks und der Nebengebäude, die für so einen komplexen Betrieb notwendig waren. Es waren also die Menschen, die kurz zuvor ihren Arbeitsplatz verloren hatten, die dann als ABM-Projekt ihren eigenen Betrieb nachgestellt haben.

Das ehemalige Motor-Frachtschiff Typ IV „Dresden“ liegt mit seinen fünf Schornsteinen seit seinem Umbau zum Museum 1970 hier in Rostock-Schmarl vor Anker. Nach der Wende fiel die Unterstützung des Werftenverbundes der DDR weg. 2003 wurde es an die internationale Gartenbauausstellung (kurz IGA) angebunden. Heute befindet sich im Bauch des Schiffes das Schifffahrtmuseum – also ein besonderes Stück Stadtgeschichte.

Und als ich so vor dem Schiff stehe, denke ich mir – das kennst Du doch – hier warst Du schon einmal. Nachdem wir unsere Tickets gekauft haben (und unsere Story mit dem Taxi erzählt haben), frage ich die freundliche Dame: „Sagen Sie, war das mal eine Jugendherberge?“ Ja, zu DDR-Zeiten war das Schiff ein Jugend-Touristikhotel. Mhhh und plötzlich – fast auf den Tag genau im Februar 1984 – bin ich nach 40 Jahren wieder hier. Tausende Bilder und Gefühle kommen auf einmal in meinen Kopf. Na dann …

Mehr als 12.000 Ausstellungsstücke zeigen hier die Entwicklung des Schiffbaus – vom slawischen Einbaum bis hin zur computergesteuerten Fertigung moderner Großwerften. Regelmäßig wechselnde Sonderausstellungen und ein weitläufiger Außenbereich mit Betonschiff, Schwimmkran und vielen weiteren technischen Highlights machen den Besuch des Schifffahrtsmuseums zu einem wirklichen Erlebnis. Das eindrucksvollste Exponat ist dabei natürlich der Stahlriese selbst. Die „Dresden“ zählt weltweit zu den wenigen großen erhaltenen Frachtschiffen der Nachkriegszeit. Viele der originalen Räume, der Maschinenraum, der Rudermaschinenraum, die Brücke, die Funkstation, das Schiffshospital, mehrere Mannschaftskabinen und die Mannschaftsmesse nehmen uns mit auf eine Zeitreise (auch ein winziges Stück meiner eigenen).

auf der Brücke

Wir starten auf Deck 4 – hier werden hier spannende, unterhaltsame und informative Einblicke in die Schiffbau- und Schifffahrtsgeschichte der Region gegeben. Die Ausstellung konzentriert sich dabei auf drei Zeitausschnitte: die Hansezeit, das 19. Jahrhundert sowie die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Funkraum

Auf Deck 3 steht die Deutsche Seereederei Rostock im Mittelpunkt. 1952 gegründet, entwickelte die DSR sich zu einer der größten Universalreedereien Europas. Vom ersten Handelsschiff der DDR, bis hin zu den großen Passagierschiffen „Fritz Heckert“ und „Völkerfreundschaft“ wird die Schifffahrt der DDR erzählt. Zahlreiche beeindruckende Modelle illustrieren diese Geschichte. Daneben geben Ausstellungen zum Seefunkwesen und der Hochseefischerei spannende Einblicke in Sonderthemen. Auch der Seeflug kommt nicht zu kurz – nahe dem Museumsstandort befand sich im Breitling einst ein wichtiger Wasserflugplatz, zudem hatten Heinkel und Arado in Rostock und Warnemünde ihre Flugzeugwerke stationiert.

Stehen geblieben zu sein, erscheint die Zeit auch auf dem Hauptdeck: Die Mannschaftskabinen, Wasch- und Duschräume, Kombüse und Schiffsbetriebsräume präsentieren mit ihrer noch original erhaltenen Ausstattung ein authentisches Bild vom früheren „Leben an Bord“ der Dresden. Und hier setzen auch die Erinnerungen an das Jugend-Touristikhotel an, deren Räume sich auf Deck 1 und 2 befanden. Vieles ist noch so erhalten, wie vor 40 Jahren. Fast kann ich mich selbst noch durch die Gänge laufen sehen …

Am Nachmittag treten wir den Rückweg an, dieses Mal gehen wir zu Fuß bis zur S-Bahn-Station Lütten-Klein. So weit ist es am Ende nun doch nicht gewesen.

https://restaurant-luv-lee.de/

Den Abend verbringen wir in einem kleinen Restaurant am Fuße des Leuchtturms in Warnemünde. Katrin hatte (zur Feier des Tages) einen Tisch reserviert. Lustigerweise wurden wir gleich darauf hingewiesen, dass wir den Tisch nur 2 Stunden haben und um 20 Uhr neue Gäste kommen …

Wir bestellen Austern – wo bekommt man denn in Warnemünde sonst noch welche (?) – guten Fisch und Wein und lassen es uns sehr gut gehen. Gegen 19 Uhr sagt uns die Chefin, wir können noch bleiben, sie hat den Tisch „umgebucht“. Wie schön – und wir bestellen noch eine zweite Flasche Wein …


Um 20 Uhr sitzen wir nur noch zu viert im Restaurant. Wo bleiben denn die ganzen Leute?

Also ganz ehrlich, im Sommer kann ich es durchaus verstehen, dass man in einem frequentierten Restaurant die Tischzeit begrenzt – aber im Winter? Wer bitte geht hier um 20 Uhr noch Abendessen? Wir sind an der Ostsee und nicht in Italien … ein bisschen mehr Ehrlichkeit wäre schön. Trotzdem hat es uns sehr gut gefallen, der Fisch war sehr lecker und das Preis-Leistungs-Verhältnis viel besser als in anderen Restaurants in Warnemünde. Wir kommen bestimmt wieder.


Quellen:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/wie-versenkt-man-ein-schiffahrtsmuseum-100.html

https://schifffahrtsmuseum-rostock.de/