Seetag im Nordatlantik

Die Nacht war ruhig, die Wellen haben es gut mit uns gemeint. Noch vor dem Frühstück treffen wir viele auf dem Deck – sie wollen wie wir den Sonnenaufgang bestaunen. Es bieten sich grandiose Bilder …

Das Frühstücksbüfett ist üppig und wir nehmen uns viel Zeit. Danach gehen wir wieder hoch aufs Deck, fotografieren, lassen uns den Wind um die Nase blasen. Wunderschön.

11 Uhr trifft sich der Shanty-Chor zur ersten Probe. Ich verziehe mich mit einem Buch in die Laterna Magica.

Im vorderen Bereich ist es mir aber bald zu laut, sodass ich in die hinterste Ecke umziehe, wo ich es mir gemütlich mache.

Irgendwann kommt Katrin auch in die Laterna Magica hoch und wir beschließen etwas Kleines zu essen. Im Bistro gibt es belegte Lachs-Sandwiches. Isa pinnt inzwischen schon mal den Plan für morgen an das Info-Board.

Am Nachmittag treffen wir uns alle wieder auf Deck 9. Es gibt ein unheimlich schönes Interview mit Kapitän Hans-Christian Nielsen. Krischan hat einen fantastischen Humor.

Vier Jahrzehnte fuhr der Kapitän zur See und verlor dabei nie den Sinn für Selbstironie. Statt Hemd und Sakko trug er auf der Fähre oft einen Kapuzenpullover. Motiv: Hein Blöd. Kapitän Nielsen zieht es noch immer aufs Meer. Seinen alten Beruf hingegen vermisst er nicht. Aus Kapitänen früherer Tage seien „bessere Transportbegleiter zu See“ geworden, die in Papierkram untergehen und von ihren Reedereien gegängelt werden, schimpft er. Nicht mal Schiffe gucken im Hamburger Hafen ist für ihn noch drin. [https://blog.ankerherz.de/blog/stefans-geschichten-vom-meer-kapitaen-nielsen-und-die-alptraumreise/]

Gegen 16 Uhr tauchen die Shetlands am Horizont auf. Wie schön ist das denn … Wir sehen sogar schon die Lichter vom Radom Saxa Vord und vom Leuchtturm Muckle Flugga.

Die Remote Radar Head Saxa Vord ist eine Station der Royal Air Force auf der Insel Unst und liegt weiter nördlich als Sankt Petersburg und auf dem gleichen Breitengrad wie Anchorage, Alaska. Die Station wurde nach Saxa Vord benannt, dem höchsten Hügel auf Unst, mit einer Höhe von 285 m. Sie hält den inoffiziellen britischen Rekord für Windgeschwindigkeit, der 1992 mit 317 km/h gemessen wurde, kurz bevor die Messausrüstung davonflog.

Schnell schreibe ich auf facebook, dass wir die Shetlands passieren und Mary, unsere Freundin aus Bigton (South Mainland Shetland) antwortet sofort: “So nah seid ihr? Ich winke euch!”

Wir sehen Muckle Flugga zum ersten Mal von der anderen Seite – normalerweise sitzen wir ganz nahe der Klippen in Hermaness und schauen aufs Meer. Mich durchströmt ein warmes Gefühl – da drüber fühlen wir uns fast wie zu Hause …

Der Leuchtturm Muckle Flugga steht als nördlichstes Lighthouse Großbritanniens, wurde 1854 von den Brüdern Thomas und David Stevenson entworfen und während des Krimkriegs gebaut. Mit einer Höhe von nur 20 Metern und 103 Stufen wurde er am 1. Januar 1858 erstmals in Betrieb genommen. Heute ist alles automatisiert und der Leuchtturm strahlt alle 20 Sekunden einen weißen Lichtblitz aus, mit einer Reichweite von 22 Seemeilen (41 km).

Thomas’ Sohn Robert Louis Stevenson, der Schriftsteller, besuchte ihn als junger Mann. Dadurch wurde Muckle Flugga seine Inspiration für die Karte von “Die Schatzinsel”.

Einigen anderen auf dem Deck erzählen wir natürlich davon, aber es braucht nicht unbedingt diese Worte, die Erklärungen, wir genießen es einfach still – jeder für sich und vielleicht auch mit einem Tränchen im Auge. Es ist aber auch ein Wind …

Nach 17 Uhr verblasst das Licht vom Leuchtturm allmählich und wir sind wieder auf offener See.

Um 20 Uhr treffen wir uns alle wieder auf Deck 5, im Barraum Undirhúsið. Stefan liest und Fish&Sheep spielen Musik dazu. Das Bier, vom Glas ein Schaf glotzt, ist schon ausverkauft. Also halten wir uns an das Original Färöyer …